Ukrainische Lehrerin in Dissen

Gefährliche Flucht nach Bad Rothenfelde

Herzlich Willkommen, Nadiia Iovenko!

Wie Nadiia Iovenko das deutsche Schulsystem empfindet

Seit wenigen Wochen verstärkt Nadiia Iovenko aus Kiew das Lehrerkollegium an der Hermann-Freye-Gesamtschule (HFG) Dissen. Dort unterstützt sie unter anderem 30 geflüchtete Schüler aus der Ukraine.

Bis zum 24. Februar 2022 führte Nadiia Iovenko ein eher ruhiges Leben. Die Lehrerin für russische und ukrainische Sprache und Literatur unterrichtete seit zwei Jahrzehnten an einer Gesamtschule in Kiew und bereitete sich innerlich auf den Ruhestand vor, der für sie im Sommer beginnen sollte.

 Flucht aus Kiew zunächst in Richtung Butscha

Doch mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine geriet das Leben der knapp 60-Jährigen aus den Fugen. Ihr in den USA lebender Sohn drängte seine Mutter und die Familie seines Bruders zur Flucht, raus aus der gefährlichen Großstadt. In der Annahme, dass es sich um wenige Tage handeln würde, stellten sie dem Kater reichlich Futter und Wasser hin und fuhren Richtung Butscha.

Als die Flüchtenden bemerkten, dass es dort noch viel gefährlicher war, wendeten sie sich nach Westen. Sie blieben eine Woche in Wynizia, bis auch hier Bombardierungen einsetzten. Da reifte der Plan zur Flucht ins Ausland. Bekannte aus der Schweiz hatten Freunde in Bad Rothenfelde, die die Flüchtenden von der Landesgrenze abholten. „Seitdem sind wir in Sicherheit und leben auf einem ehemaligen Bauernhof fast wie im Märchen“, erzählt Iovenko. „Hans und Melanie Pörtner sind sehr hilfsbereit, sie haben uns bei den Formularen geholfen, mit uns Ausflüge gemacht und deutsche Traditionen gezeigt.“

Zweite Karriere in Dissen

Bis zur Abschlussprüfung im Sommer unterrichtete Nadiia noch ihre Kiewer Schüler - online. Aber anstatt dann den geplanten Ruhestand einzuläuten, bereitete sie sich auf ihre zweite Karriere als Lehrerin vor, diesmal an der HFG. Seit Dezember - nachdem endlich alle erforderlichen Bescheinigungen vorlagen - unterstützt sie ukrainische Schüler in „Deutsch als Zweitsprache“. Zwar lernt sie selbst noch Deutsch, aber als Sprachenlehrerin erkennt sie leichter die zugrundeliegenden Strukturen und kann sie den ukrainischen Achtklässlern vermitteln. Damit entlastet sie die eigentliche Lehrkraft.

Die Schüler seien alle sehr motiviert Deutsch zu lernen, berichtet Iovenko, aber das heiße nicht, dass alle in Deutschland bleiben wollten. Viele wollten sobald wie möglich ihr Land wieder aufbauen, „und auch dabei können ihnen Deutschkenntnisse sehr nützlich sein“.

Hoffnung auf baldige Rückkehr

Sie hält eine „maximale Anpassung“ an Deutschland für erfolgversprechend, lobt die Freundlichkeit der Menschen und die gute Ausstattung an der Schule. Aber natürlich seien sie als Geflüchtete auch „im Wartestand“ und hofften auf baldige Rückkehr: „Wir leben von Tag zu Tag“. Um den Schülern diese Option auch sprachlich offen zu halten, bietet Iovenko deshalb an zwei Nachmittagen in der Woche Inhalte des heimatlichen Lehrplans an. Sie will mit ihren Schülern auch ukrainische Traditionen pflegen und sie nach Möglichkeit, wie zum Beispiel bei der Weihnachtsfeier, in das Schulleben einbringen. Für die Kinder sei es auf jeden Fall gut, dass sie hier einen geregelten und sicheren Schulalltag führen und den Krieg manchmal vergessen können.

Überrascht hat die gestandene Lehrerin, wieviel Wert an deutschen Schulen auf Bewegung an frischer Luft und gesundes Frühstück gelegt wird, dass Kinder gemeinsam mit den Eltern zu Lernentwicklungsgesprächen kommen und dass der Unterricht bis in den Nachmittag reicht. Dafür gebe es an ukrainischen Schulen mehr Hausaufgaben.

Weißrussin als Kollegin

Im Gespräch mit Nadiia Iovenko fungierte ihre Kollegin Katja Weßeler als Dolmetscherin. Die gebürtige Weißrussin lebt seit fast 20 Jahren in Deutschland und unterrichtet Deutsch, Englisch und Russisch an der HFG. „Uns als Schule ist es wichtig, die Menschen zu sehen“, sagt sie, es gebe keine Ressentiments unter- oder gegeneinander. Iovenko stimmt zu: „Egal, welche Sprache man spricht, wichtig ist es, menschlich zu bleiben.“

Quelle: NOZ vom 08.03.2023

Zurück